Lieber Herr Meyer,
vorneweg: ich kann Ihre Argumente gut nachvollziehen, dennoch meine ich, daß wir auf
halben Wege stehenblieben, wenn wir nicht auch für Zeitungen ein
"Standardmodell" schafften, wie wir es bereits für Zeitschriften und mehrbändige
Werke geschaffen haben. Ansonsten bliebe uns nämlich m.E. nur der Ausweg, das Modell für
Zeitschriften auch für die Beschreibung von Zeitungen zu verwenden, bedeutet: es zu
mißbrauchen. Kurz zu den konkreten Punkten:
Ich stimme Ihnen zu, dass wir eine möglichst intuitive
und übersichtliche
Möglichkeit schaffen müssen, wie der Nutzer von einem ZDB-Katalogisat
einer Zeitung zu einem konkreten Artikel in einer konkreten Ausgabe eines
konkreten Jahres kommt. Und wir können uns sogar noch etliche andere
Möglichkeiten des Zugangs überlegen - analog zu den Ressorts des Spiegels
vielleicht auch eine thematische Ordnung der Artikel. Würden Sie dann für
jeden dieser Zugänge eine eigene structMap bzw. ein eigenes Set auf
einander verweisender METS-Dateien anlegen wollen?
Das Argument ist gut, nur: es gilt analog auch für alle andere Materialien, die wir im
Viewer darstellen. In Monographien könnten uns die Gedichte besonders interessieren oder
die Illustrationen bestimmter Künstler über verschiedene Ausgaben hinweg. In
wissenschaftlichen Zeitschriften wäre die Werbung evtl. interessant. Das alles läßt sich
tatsächlich nur auf Portalebene sinnvoll lösen - evtl. geleitet von jeweils konkreten
wissenschaftlichen Fragestellungen. Dennoch habe wir uns auf ein Standardmodell der
einheitlichen Anzeige und Erschließung (über die verschiedenen Projekte und Portale und
Techniken hinweg) verständigt, sozusagen auf den Standardaufbau einer Monographie, einer
Zeitschrift, eines mehrbändigen Werkes. Sie arbeiten gerade mit an einem Standardmodell
für Handschriften. Gesichtspunkte für diese Differenzierungen sind typologische Aspekte:
Eine Handschrift ist anders aufgebaut als eine Monographie ist anders aufgebaut als ...
Mein Frage ist nun: Ist eine Zeitung anders aufgebaut als eine Zeitschrift? Was
unterscheidet die beiden? Wie könnte folglich der Aufbau einer Zeitung generalisiert
beschrieben werden?
Das sind meines Erachtens Fragen, die das
Recherche-System beantworten
muss und nicht das Datenformat. Wenn der aktuelle ZDB-Katalog dazu nicht
in der Lage ist, weil er natürlich primär die analoge Welt abbildet, dann muss
ein System geschaffen werden, dass das kann (oder die ZDB entsprechend
angepasst werden).
Oh. Oh. Oh. Da klingeln bei mir alle Glocken. Mit gleichem Recht könnte man sagen: Weg mit
den "klassischen Bibliothekskatalogen". Die sind für die analoge Welt und müssen
nun angepaßt werden. Wir brauchen Strukturdaten in den Katalogen. Wir brauchen Volltexte
in den Katalogen. Warum diskutieren wir noch über den Umstieg von MAB2 zu MARC21? Alles
Schnee von gestern. Weg mit dem Quatsch. (Ernsthaft betrachtet ist das gar keine schlechte
Überlegung. Die Trennung von Katalog und Repository könnte tatsächlich irgendwann ganz
wegfallen. Aber wann ist dieses "Irgendwann"? Und sollen wir tatsächlich
fordern, daß sich die Welt um uns herum ändern muß, damit wir auch Zeitungen im Viewer
präsentieren können?)
Für den Bereich der Monographien soll ZVDD das
leisten, für die Zeitschriften könnte man sich eventuell das Digizeitschriften-
Projekt der SUB Göttingen zum Beispiel nehmen. Das Problem ist also nicht,
dass das Datenformat unzureichend wäre, um solche Strukturen abzubilden,
sondern dass es bislang kein System gibt, das die im Format durchaus
vorhandenen Informationen entsprechend aufbereitet und visualisiert.
Hm. Also lösen ZVDD und DigiZeit die Kataloge als primäre Recherchequellen perspektivisch
ab? Interessant. Das sag ich demnächst mal dem einen oder anderen Katalogisierer, den ich
so kenne. ;)
Der Punkt ist, dass ich gerne vermeiden möchte, durch
die Festschreibung
der "äußeren" Navigationsstruktur in der structMap dem Recherche-
und/oder Präsentationssystem eine bestimmte Art des Zugangs
aufzuzwingen.
Das tut jede Modellierung. Und das ist auch der Sinn einer solchen. Das Metaphysische bei
der Frage nach der "logischen Struktur" einer Zeitung ist doch: Was ist das
Modell, das wir den konkreten Erscheinungsformen von Publikationen, die wir summarisch
Zeitungen nennen, überstülpen, damit wir sie unter einem einheitlichen Gesichtspunkt
erschließ- und präsentierbar machen? Für den Viewer konkretisiert: Wie wünschen wir uns
eine Standardnavigation durch diese Ansammlung von tausenden von Seiten die über
Jahrhunderte hinweg in sehr regelmäßiger Form erschienen sind?
Wir sollten diese Diskussion meines Erachtens vom
Kontext des DFG-Viewers
lösen. Der Viewer ist ein reines Anzeigeinstrument und kein Recherche-
Werkzeug. Entsprechend wird die Suche einer bestimmten Zeitungsausgabe
aus 18.000 Ausgaben dort immer mühsam und umständlich sein, einfach weil
man nicht umhin kommt, sich durch die gesamte Zeitung zu hangeln (ob nun
über den "Umweg" der Jahre, Monate und Wochen oder "direkt" aus
einer
endlosen Liste von 18.000 Einträgen).
Hm. Das halte ich nicht für sinnvoll. Wir würden damit für einen Publikationstyp sagen:
Das ist ein Haufen von Seiten in einem Haufen von Tagen. Anzeigen kann und will ich den
nicht.
Um den Forderungen der DFG gerecht zu werden, haben
wir uns mangels
geeignetem Recherchesystem für diese Notlösung entschieden, ich würde
sie nun aber ungern noch weiter ausweiten. Statt die Notlösung zu einer
besseren Notlösung zu machen (und uns damit mittelfristig größere
Probleme einzuhandeln), sollten wir lieber eine echte Lösung anstreben. :)
Nein, das sehe ich nicht so. Wir haben Katalogisierungspraxis und digitale Präsentation
zusammengebracht. Wie mir scheint, ist dieser Ansatz auf einen sehr fruchtbaren Boden
gefallen. Das sieht man nicht zuletzt an der aktuellen Diskussion. Hintergrund meiner
Frage ist ja ein konkretes Kundeninteresse. Dieser Kunde hat nämlich auf die Viewerseiten
geschaut und gesagt: Hm. Zeitungen kann man so aber nicht darstellen. Was machen wir denn
jetzt? Eine solche Frage kann man nur stellen, wenn man verstanden hat, was wir mit
unserem Strukturdatenset erreichen wollen... ;)
Unterm Strich würde ich sagen: Sollten wir uns nicht darüber verständigen, wie Zeitungen
konkret zu modellieren sind, dann müssen wir m.E. einen neuen Strukturtyp einführen:
"other". Dann steht es jeder Einrichtung frei, eine Modellierung zu finden, wie
sie sie für richtig hält, wenn das Viewer-Set eben nicht paßt. Das ist m.E. besser, als
zwanzig Jahre darauf zu warten, bis sich Katalogwelt und Repositorywelt zu einer Einheit
verschmolzen haben. Sagte ich zwanzig Jahre?
Beste Grüße,
Kay Heiligenhaus